

Vom 16.05.2002 - REUTLINGEN/STUTTGART - Feuerwehrleute dürfen auf dem Weg zum Lösch- oder Rettungseinsatz die Straßenverkehrsordnung überschreiten, auch wenn sie erst auf der Fahrt zum Gerätehaus oder Sammelort sind. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in zwei Bußgeldverfahren, denen grundsätzliche Bedeutung zugemessen wird, entsprechende Entscheidungen des Reutlinger Amtsgerichts überprüft und bestätigt. Das Ordnungsamt der Stadt hatte gegen zwei Feuerwehrleute Bußgelder verhängt, weil sie mit dem eigenen Auto die Tempolimits missachtet hatten: Ein 25-jähriger Pfullinger war in Rommelsbach mit 70 Stundenkilometern an einem »Starenkasten« vorbei geflitzt, ein 21-jährige Kirchentellinsfurter mit 160 Sachen über die Stadtautobahn am Betzinger Knoten, wo nur 100 erlaubt sind. Beide folgten einem Funkalarm, der sie zum Einsatz rief. Hier hatte ein Supermarkt einen Brand gemeldet, dort eine Fabrik. Beide Männer wiesen die Bußgelder zurück, zogen mit ihren Anwälten Peter Jäcksch und Roland Hallatschek (Reutlingen) vor Gericht und beriefen sich auf ihre Sonderrechte. Die Straßenverkehrsordnung nämlich befreit »die Feuerwehr« ebenso wie Polizei, Militär und Rettungsdienste grundsätzlich von Regeln wie Geschwindigkeitsbeschränkungen und der Wartepflicht an roten Ampeln, wenn Eile »zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist«. Umstritten ist in der Rechtsprechung jedoch: Gelten die Sonderrechte erst für die Fahrt im Feuerwehrauto unter Martinshorn und Blaulicht - oder bereits, während die Einsatzkräfte von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus mit Privatwagen, Motorrad oder Fahrrad ins Gerätehaus eilen? Klarheit schaffen Der StVO-Paragraph 35, Absatz 1, lässt die Sonderrechte schon auf der Anfahrt gelten, urteilte im Dezember der Reutlinger Amtsrichter Eberhard Hausch und sprach die beiden Feuerwehrleute frei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen seine Entscheidung jedoch Rechtsbeschwerde ein und rief das Oberlandesgericht Stuttgart an. Denn - so der Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Hans Ellinger im Januar auf Anfrage des GEA - der Polizei und den Bußgeldbehörden im Land fehle ein Maß gebendes obergerichtliches Urteil für Baden-Württemberg. Die Meinungen unter Juristen auch in anderen Bundesländern seien geteilt, »die einen sagen hü, die anderen hott«. Die beiden Reutlinger Fälle sollten Klarheit schaffen. Ähnlich der Leiter des Ordnungsamtes, Reinhold Bantle: »Wir wollen Rechtssicherheit schaffen«, begründete er schon nach der ersten Verhandlung im Dezember 2001, warum die Stadt bei zwei zweifelsfrei festgestellten Tempo-Überschreitungen Bußgeldverfahren angestrengt hatte. Im Regelfall seien derartige Schritte früher zurückgenommen worden, wenn sich ertappte Schnellfahrer als Feuerwehrleute auf dem Weg zum Einsatz zu erkennen gegeben hätten. In seinem Urteil hatte der Reutlinger Richter Hausch mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Handlungsfähigkeit vor allem jener Feuerwehren, die nur aus ehrenamtlichen Kräften bestehen, wesentlich davon abhänge, dass ihre Leute schnell zum Sammelpunkt kommen. Dabei sei »dieselbe höchste Eile« verlangt wie danach beim Ausrücken des Löschzuges zum Brand- oder Unfallort. Allerdings besitze niemand im Katastrophenschutz einen »Freibrief«, rücksichtlos zu rasen. Jeder dürfe die Sonderrechte »nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« ausüben. Dies sei in den beiden Fällen geschehen; die betroffenen Feuerwehrleute hätten niemanden gefährdet und ihren Verantwortungsspielraum nicht überzogen. Nur im Ausnahmefall Der 4. Senat für Bußgeldsachen am Oberlandesgericht Stuttgart unter seinem Vorsitzenden Dr. Niemeyer hat nunmehr die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Tübingen (der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hatte) behandelt und in beiden Verfahren verworfen: Freiwillige Feuerwehrleute besäßen die Sonderrechte schon vom Alarm an. Sie dürften aber »nur im Ausnahmefall« beansprucht werden, »nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten« und unter besonderer Vorsicht. Das OLG gesteht den Einsatzkräften dabei »allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer« zu. In diesem Rahmen seien die Übertretungen des Pfullingers und des Kirchentellinsfurters jedoch geblieben. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte in ähnlichen Fällen (1984 und '91) anders geurteilt: Seine »hoheitlichen Aufgaben« übernehme ein Feuerwehrmann erst am Stützpunkt. Das OLG Stuttgarter sieht jedoch keine Notwendigkeit, diese abweichenden Beurteilungen dem Bundesgerichtshof zur endgültigen Klärung au höchster Ebene vorzulegen.
Dieser Artikel wurde original aus dem/der Reutlinger General-Anzeiger entnommen,