18.09.2015
Aus München trifft der dritte Sonderzug ein
Esslinger Zeitung - Peter Dietrich und Hermann Dorn
ESSLINGEN - In Esslingen ist gestern um 21.30 Uhr ein weiterer Sonderzug mit fast 400 Flüchtlingen eingetroffen. Anders als am Tag zuvor wurden die meisten von ihnen mit Bussen auf Erstunterkünfte des Landes verteilt. 60 Menschen mussten allerdings in der Schelztorhalle übernachten. Dort hat die Stadt bereits am Abend zuvor fast 300 Flüchtlinge untergebracht, die ebenfalls mit einem Sonderzug Bahn nach Esslingen gekommen sind. Das Notquartier soll am Sonntag aufgegeben werden.
Noch ist unklar, wo die weitere Reise für die Flüchtlinge hingeht, die gegenwärtig in der Schelztorhalle sind. Die Suche nach freien Plätzen in den Erstunterkünften des Landes zieht sich in die Länge. Man bemühe sich intensiv um eine Lösung, die am Sonntag greift, versichert ein Sprecher des Regierungspräsidiums Stuttgart. Wie schnell sich die Lage in diesen Tagen aber ändern kann, zeigte sich gestern, als ein weiterer Sonderzug aus München ankam. Es ist seit Dienstag der dritte. Hatte das Regierungspräsidium am Vormittag erklärt, man rechne vorerst mit keinen weiteren Aktionen, so wurde diese Information später korrigiert. Der Stadtverwaltung Esslingen wurde nun mitgeteilt, man benötige erneut ihre Unterstützung.
- Übernimmt Mannheim?
Die zentrale Rolle, die Esslingen in diesen Tagen bei der Verteilung der Flüchtlinge spielt, soll in den nächsten Tagen eine Stadt in Nordbaden übernehmen. Dem Vernehmen nach handelt es sich um Mannheim. Allerdings sind die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Aus diesem Grund fiel die Wahl gestern erneut auf Esslingen. Ob es sich um eine letzte Ausnahme handelt, blieb offen.
Unterdessen hat sich in der Schelztorhalle die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten schnell eingespielt. Alle berichten von einer großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Lob gibt es auch für das Verhalten der Flüchtlinge.
Schon wieder klingelt bei Andrea Schad das Telefon, wieder will jemand den Flüchtlingen helfen. Gerne nimmt die Sekretärin des Amts für Soziales und Sport einen weiteren Kontakt auf. Sie werden bei Renate Schaumburg gesammelt, die das bürgerschaftliche Engagement in der Stadt koordiniert. Hilfe werde auch noch bis Sonntag nötig sein, sagt Schad.
- Ehrenamtliche Dolmetscher
Als es am Mittwochabend um die Aufgabe ging, die Flüchtlinge sicher vom Bahnhof zur Schelztorhalle zu bringen, war vor allem Gerhard Gorzellik gefragt. Der Leiter des Ordnungsamts übernahm auch das Zählen. Er kam auf 274 Menschen. „Die Flüchtlinge waren sehr diszipliniert“, lobte er. Ehrenamtliche mit Fremdsprachenkenntnissen stellten sich als Dolmetscher zur Verfügung. „Ich kann Kurdisch, Syrisch, Arabisch“, erklärte ein Helfer. Christian Bergmann, Leiter des Amts für Soziales, spricht im Rückblick „von einer überraschenden Gelassenheit.“
In Spitzenzeiten waren die fünf Katastrophenschutzeinheiten im Landkreis mit 80 Leuten im Einsatz. Vier Einheiten gehören zum Deutschen Roten Kreuz, Kreisverband Esslingen-Nürtingen, eine weitere zu den Maltesern, Hilfsdienst Nürtingen. Nun sind rund 15 Helfer in der Schelztorhalle im Einsatz, sechs weitere in der Einsatzzentrale in der Geschäftsstelle des DRK-Kreisverbandes.
Bis Donnerstagmittag organisierte das DRK das warme Essen, die Malteser übernahmen das Frühstück. Am Abend übernahm eine Cateringfirma. Die Brezeln bis Sonntag spendet ein Esslinger Bäcker. Auch andere Unternehmen helfen, das Städtische Klinikum lieferte 300 Handtücher. Das Technische Hilfswerk kümmert sich um die Notstromversorgung und die Beleuchtung des Parkplatzes. Schon am Mittwoch wurden zehn mobile Toiletten aufgestellt, gestern Abend ein Duschcontainer in Betrieb genommen. Die Feuerwehr war mit bis zu 18 Leuten vor Ort.
- Wettkämpfe werden verlegt
Da es sich um die erste Schulwoche handelt, fällt durch die belegte Halle nur wenig Sportunterricht aus. Für das Wochenende geplante Wettkämpfe wurden in andere Hallen verlegt. Derzeit haben Fremde keinen Zutritt zur Halle, das Land hat einen Sicherheitsdienst beauftragt. Die Flüchtlinge dürfen sich aber frei bewegen. „In welcher Stadt sind wir?“, hatten einige nach ihrer Ankunft gefragt.
Kaum war gestern das DRK-Fahrzeug mit Mineralwasser ausgeladen, fuhr die Arbeiterwohlfahrt (AWO) vor und brachte aus der Kleiderkammer in der Rennstraße Frauen- und Kinderkleidung. Ein weiteres AWO-Team suchte parallel in der Kleiderkammer in Zell passende Kleidung für Männer zusammen. „Ich sehe nur noch schwarz“, sagte Julie Hofmann vom AWO-Sozialdienst für Flüchtlinge. Damit meinte sie ihren Computerbildschirm, der derzeit von E-Mails mit Hilfsangeboten überquillt. Sie bittet um Verständnis, wenn deshalb eine schnelle Antwort ausbleibt.
Die professionellen Helfer bitten, nicht spontan mit Spenden an der Unterkunft vorbeizukommen, sondern sich mit Hilfsangeboten an Andrea Schad (0711/3512-2442) zu wenden.
Dieser Artikel wurde original aus der Esslinger Zeitung
entnommen,
wir übernehmen keine Verantwortung für den Inhalt.