

ESSLINGEN - Bei einem Hausbrand in Esslingen-Zell werden zwei Personen schwer verletzt. Der mutmaßliche Verursacher soll mit chemischen Substanzen hantiert haben.
So etwas hat Oliver Knörzer bisher noch nie erlebt. Seit ungefähr einem Jahr ist er Esslingens Stadtbrandmeister und blickt insgesamt auf ein Vierteljahrhundert Erfahrung bei der Feuerwehr zurück. „Über solche Vorfälle gelesen habe ich schon“, sagt der 37-Jährige, „aber dass man selbst einmal solche Überraschungen in der Form und Intensität auffindet. Das habe ich noch nicht gehabt.“ Der Blick am Feuerwehrmann vorbei in die Hauptstraße in Esslingen-Zell verdeutlicht seine Aussage.
Die Straße ist gesäumt von Einsatzfahrzeugen, unzählige Feuerwehrleute, Polizisten, Ermittler in weißen und gelben Schutzoveralls wuseln umher. Weiter hinten steht eine extra aufgebaute Reinigungskammer für die Helfer, die aus dem Haus mit der Nummer 63 kommen. Dieses ist komplett ausgebrannt. Aus dem nur noch teilweise erhaltenen Dachstuhl tritt noch Qualm aus. Weil das Gebäude nahezu zerstört ist, müssen die Einsatzkräfte improvisieren, wie Oliver Knörzer sagt. Mit der Drehleiter fahren sie eine Kamera über das Haus, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Denn nicht nur vom Gebäude selbst geht Gefahr für die Rettungskräfte aus, sondern auch von Materialien darin. Feuerwerkskörper, Gasflaschen, Chemikalien, ja sogar eine russische Übungsgranate haben die Einsatzkräfte bereits gefunden und nach außen transportiert.
Chemiker als Berater
Doch der Reihe nach: Gegen vier Uhr in der Nacht von Montag auf Dienstag wurde bei der Esslinger Feuerwehr ein Brand in der Zeller Hauptstraße gemeldet. Als die Einsatzkräfte dort eintrafen, forderten sie umgehend Verstärkung an. Am Ende sollten die Abteilungen Stadtmitte, Berkheim, Sulzgries, Hegensberg, Zell sowie Wäldenbronn im Einsatz sein und auch Stuttgarter Feuerwehrleute anrücken. Die Ersthelfer übergaben die drei Bewohner des Hauses, die sich selbst in Sicherheit gebracht hatten, den Rettungskräften und löschten das Feuer von außen sowie von innen. Eine Explosion führte dann jedoch zum Rückzug aus dem Gebäude, zwei weitere Schläge bestätigten die Feuerwehr in ihrer Entscheidung.
Aus den gesicherten Bereichen des Hauses entfernten die Einsatzkräfte etliche Feuerwerkskörper sowie die Granate, und die sogenannten Delaborierer vom Landeskriminalamt nahmen diese zur weiteren Untersuchung mit. Ein Chemiker vom Messzug Ostfildern, laut Oliver Knörzer ein „sehr wertvoller Berater“, war ebenfalls vor Ort und half bezüglich der aufgefundenen Chemikalien. Um diese zu entsorgen, musste eine Spezialfirma anrücken, die das Landratsamt organisiert hatte. Die Feuerwehr lagerte derweil ihre komplette Ausrüstung aufgrund einer möglichen Kontaminierung separat, wie der Stadtbrandmeister berichtete. Schließlich ist die genaue Zusammensetzung der chemischen Substanzen noch nicht bekannt.
Nicht mehr in Lebensgefahr
Nach den bisherigen Ermittlungen soll der 31-jährige Sohn der Familie in der Nacht mit verschiedenen Stoffen experimentiert haben, woraufhin es zu einer Verpuffung und zum Ausbruch des Feuers gekommen war. Der 63 Jahre alte Vater eilte herbei und wollte das Feuer löschen. Während er sich schwere Brandverletzungen zuzog und in eine Spezialklinik eingeliefert werden musste, verließ seine 60-jährige Frau das Krankenhaus nach einer ambulanten Behandlung aufgrund einer Rauchgasvergiftung wieder. Der Sohn erlitt indes lebensgefährliche Verbrennungen und kam auch in eine Spezialklinik. Gegen Mittag gab die Polizei jedoch Entwarnung, der Mann sei außer Lebensgefahr.
Laut Anwohnern habe dieser immer mal wieder mit diversen chemischen Substanzen hantiert. Dieses Schauspiel soll sich regelmäßig mehrere Wochen vor Silvester ereignet haben. Die Anwohner berufen sich auf laute Knallgeräusche und selbst gebastelte Böller. Zudem sei das Sondereinsatzkommando der Polizei schon einmal in dem Haus gewesen und hätte den 31-Jährigen verhaftet. Das wiederum bestätigte die Polizei nicht. Der Mann sei ihnen allerdings aufgrund von zwei Anzeigen bekannt: die Vortäuschung einer Straftat und Störung öffentlichen Friedens. Zudem fanden Beamte vor etwa zwei Jahren in dem Haus Chemikalien. Legale, wie die Behörde bestätigt: „Ob das jetzt wieder der Fall ist, müssen wir erst strafrechtlich prüfen“, sagt Michael Schaal vom zuständigen Polizeipräsidium in Reutlingen und betont in Bezug auf mögliche Sorgen: „Er wollte in keinem Fall eine Bombe bauen. Das kann man völlig ausschließen. Er hat lediglich wohl ein Faible für Chemie und gern mit solchen Substanzen gearbeitet.“ Ob die Granate scharf war, ist derzeit noch nicht bekannt.
„Wir haben Glück gehabt“
Darüber hinaus fallen im Rahmen der Recherche rund um den Brand die Begriffe Chemiestudium und psychiatrische Behandlung. Genauere Erkenntnisse werden die weiteren Untersuchungen und Ermittlungen liefern, die beiden Männer konnten bisher noch nicht vernommen werden. In jedem Fall steht eines schon jetzt fest: „Wir haben Glück gehabt.“ Das trifft zwar auch auf die Bewohner zu, aber Oliver Knörzer sagt es vor allem in Richtung seiner Feuerwehrkollegen - und so etwas wie gestern will der Stadtbrandmeister so schnell nicht mehr erleben.
Der Sachschaden beläuft sich nach bisherigen Schätzungen auf mehrere hunderttausend Euro. Bei dem Einsatz wurden ein nebenstehendes Gebäude evakuiert und die Gegend abgesperrt. Die Polizei leitete den Verkehr von der Esslinger Stadtmitte kommend bereits in der Plochinger Straße um. Außerdem waren die Wilhelmstraße bis zum Mittag und die Hauptstraße stadteinwärts bis heute gesperrt. Folglich konnte der Postbote vor Ort seine Sendungen nicht austragen. Außerdem musste ein Energieversorger eine Stromleitung für die benachbarten Gebäude anzapfen.